Warnhinweis für Gleitsichtbrillen aus dem Internet?

Warnhinweis für Gleitsichtbrillen aus dem Internet?

Interview mit Dr. Jan Wetzel, ZVA-Geschäftsführer 

Der Zentralverband der Augenoptiker hat sich in dem Wettbewerbsverfahren gegen den Brillen-Internethändler Lensbest aus Kiel mit seiner Kernforderung durchgesetzt. Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig erklärte, dass Gleitsichtbrillen, für deren Fertigung nur Daten des Brillenpasses einschließlich der Pupillendistanz als Basis vorliegen, ausschließlich dann angeboten werden dürfen, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass ihre Benutzung im Straßenverkehr eine Gefahr darstellen kann. 
 

Weshalb wollen Sie nun mit einer Nichtzulassungsbeschwerde das Urteil durch den Bundesgerichtshof überprüfen lassen?

Da gibt es zwei Gründe: Eine Entscheidung des Bundesgerichtshof (BGH) hat einfach mehr Gewicht als „nur“ ein oberlandesgerichtliches Urteil. Wenn der BGH die Entscheidung aus Schleswig bestätigen sollte, dann hätte dies bundesweite Strahlkraft und auch andere Anbieter könnten viel leichter verpflichtet werden, einen entsprechenden Warnhinweis zu geben. 
 
Zusätzlich ist das Urteil des Oberlandesgericht Schleswig nicht frei von Widersprüchen: Einerseits soll derjenige, der Gleitsichtbrillen ohne individuelle Berücksichtigung des HSA, der Fassungsvorneigung und der Einschleifhöhe herstellt und anbietet, seine Kunden vor der Nutzung beim Autofahren warnen. Anderseits darf er gleichzeitig diese – offensichtlich unzulänglichen – Brillen als „hochwertig“ oder „in Optiker-Qualität“ bewerben. Das beißt sich! Es mag zwar sein, dass solche Begriffe in der Werbung durch inflationäre Benutzung sinnentleert sind, wie es das Gericht behauptet. Aber, wenn ein Anbieter aufgrund der von ihm gewählten Herstellungsweise nicht einmal die Mangelfreiheit des Produktes gewährleisten kann, dann darf er dieses auch nicht als hochwertig anpreisen.
 

Betrifft dies dann nur die Online-Händler?

Nein. Das Urteil betrifft keineswegs nur die Online-Händler. Es gilt für alle Anbieter gleichermaßen. Entscheidend ist nicht der Vertriebsweg Internet, sondern die von den Anbietern gewählte Herstellungsweise. Vor Jahren gab es in Hamburg eine Auseinandersetzung und neulich eine weitere in Süddeutschland. In beiden Fällen meinten stationäre Anbieter, sie dürften Korrektionsbrillen abgeben, ohne dass alle für die Herstellung einer Korrektionsbrille erforderlichen Parameter individuell berücksichtigt werden. In beiden Fällen lenkten die Anbieter ein.
 

Wollen Sie Brillen aus dem Internet komplett verbieten?

Es würde von großem Realitätsverlust zeugen, wenn man Brillen aus dem Internet verbannen wollte. Als Verband geht es uns lediglich darum, dass alle Anbieter sich an die geltenden Vorgaben halten müssen. Normen, Arbeitsrichtlinien und das Medizinproduktegesetz gelten ausnahmslos für alle, die Korrektionsbrillen anbieten. Und wer Medizinprodukte online verkaufen möchte, der muss sich Gedanken machen, ob diese aufgrund des Herstellungsverfahrens überhaupt verkehrsfähig sind. So wie derzeit die Internetbrillen angeboten werden, ist dies aus unserer Sicht mehr als zweifelhaft. Das OLG wollte hiervon jedoch nichts wissen. Ob dies rechtlich zutreffend ist, soll nun der BGH entscheiden.
 

Was bringt der Warnhinweis konkret in der Praxis?

Wir sollten uns von dem Warnhinweis keine Wunder versprechen. Trotz Warnhinweise werden immer noch Zigaretten gekauft. Aber der Warnhinweis wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, den Verbrauchern den Unterschied zwischen den verschiedenen Angeboten zu verdeutlichen. Manch einer wird sich sagen, der Preis für eine Gleitsichtbrille eines Online-Anbieters mag zwar möglicherweise niedriger sein als beim Augenoptiker, dafür ist sie aber für viele Lebensbereiche nicht einsetzbar. Ich persönlich würde mich dann für das bessere Produkt entscheiden, das nicht auf einer derart schmalen Datenbasis gefertigt wurde!
 

Positionspapier zum Online-Brillenhandel

Grundsätzlich ist es jedem Anbieter selbst überlassen, auf welchen Wegen er seine Produkte in den Markt bringt. Deswegen gehört auch das Internet zu einem möglichen Vertriebsweg in der Augenoptik. Eine Aufgabe des Zentralverbandes der Augenoptiker (ZVA) ist es, für den fairen Wettbewerb in der Augenoptik einzutreten. Die geltenden Regelungen und Vorschriften, die für die stationären Augenoptiker einen Kostenfaktor bedeuten, müssen im Sinne des Verbrauchers von allen Marktteilnehmern berücksichtigt werden – unabhängig vom letztlich gewählten Vertriebsweg.